Höret nun die Geschichte des ersten Clans der Rauriker: des ehrwürdigen Clans Ljoengard, den man „die Löwenwächter“ nannte. Ihre Ursprünge reichen in ein Zeitalter zurück, als die Welt noch jung war, und ihre Legende ist eng verwoben mit der Schöpfungsgeschichte der Rauriker selbst. Sie waren die Kinder der weißen Löwin Raurassa, der treuen Gefährtin Rauros’, des silbernen Waldlöwen. Von diesen mächtigen Wesen, die einst Seite an Seite mit den Göttern wanderten, empfingen die Ljoengarder ihre Berufung: Wachen sollten sie über die Clans, ein Schild gegen das Chaos sein und die Harmonie des Landes bewahren.
Von jeher galten sie als Richter und Beschützer. Wenn Zwist oder Verrat die Clans der Rauriker zu entzweien drohten, waren es die Ljoengarder, die Recht sprachen, mit klarem Blick und unbestechlicher Weisheit. Sie waren nicht nur ein Clan, sondern ein lebendiges Symbol von Stärke, Ordnung und Gerechtigkeit. Ihr Banner zeigte einen silbernen Löwen, emporgerichtet, die Tatze zum Schlag bereit, vor einem Hintergrund aus strahlendem Gold – ein Sinnbild für die ungebrochene Macht des Hags und derer, die ihn beschützen.
Doch die Geschichte der Ljoengarder ist nicht nur eine von Herrschaft und Weisheit, sondern auch von beispiellosem Opfermut und unermesslichem Verlust. Die finsteren Tage des großen „Bärenkrieges“ brachten Tod und Verderben über die Rauriker. Die Wendools, ein Volk von wilder, ungezähmter Brutalität, stürzten sich mit entfesselter Wut auf die südlichen Lande. In schier endlosen Horden ergossen sie sich wie eine Flut aus den Bergen, angeführt von einer Matriarchin, deren Grausamkeit und Stärke ihresgleichen suchten.
Da fast alle Swajuts im Hag verstreut waren, trat der Clan Ljoengard vor. Es hieß, sie kämpften nicht allein für ihre Ehre, sondern für das Überleben aller Rauriker. In ihren Reihen standen die letzten 200 Kriegerinnen und Krieger, angeführt von ihrem Farold Arvid, einem Mann von legendärer Kühnheit und Weisheit. Mit ihm zogen sie aus, um sich den Wendools entgegenzustellen, in einer Schlacht, die zur Legende werden sollte: die Schlacht in der Wolfsschlucht.
Die Wolfsschlucht, ein enger Pass nahe der Kapitale Raurikor, wurde zum Schauplatz ihres größten Triumphs – und ihres bittersten Endes. Hier stellten sie sich der Übermacht der Wendools, die wie eine schwarze Welle heranrollte. Die Ljoengarder verschanzten sich, schufen ein Bollwerk aus Stahl und Entschlossenheit, und hielten drei Tage und drei Nächte stand. Unter dem grellen Licht des Tages und dem düsteren Schatten der Nacht stürmten die Wendools immer wieder heran, doch die Löwenwächter wichen nicht.
Ihre Opferbereitschaft war grenzenlos, und jedes Schwert, das fiel, nahm Dutzende mit sich. Mit jedem Schlag und jedem Atemzug kauften sie den Raurikern Zeit – Zeit, um die Kapitale zu befestigen, um zerstreute Krieger zu sammeln, um eine Chance auf Überleben zu schaffen.
Doch auch Helden sind nicht unsterblich. Einer nach dem anderen fielen die Ljoengarder. Ihr Blut tränkte die steinigen Böden der Schlucht, und die Luft war erfüllt von dem letzten Brüllen tapferer Herzen. Arvid selbst, ihr Farold, hielt bis zur letzten Stunde stand. Mit Leuenbrand, der Löwenklinge, führte er den letzten verzweifelten Angriff, bevor auch er von den Klauen der Wendools niedergestreckt wurde.
Als der letzte Ljoengarder fiel, erlosch nicht nur ein Clan – es erlosch eine Blutlinie, die seit den ersten Tagen der Rauriker Bestand gehabt hatte. Die Schlacht war gewonnen, doch die Löwenwächter waren dahin.
Ihr Schwert, Leuenbrand, ein Artefakt von immenser Bedeutung, ging in den Wirren der Schlacht verloren. Es war mehr als eine Waffe – es war ein Symbol ihrer Macht, ihrer Herkunft und ihres Vermächtnisses. Man sagt, es ruht noch immer irgendwo in den bleichen Knochenfeldern der Wolfsschlucht, verborgen und wartend, bis ein wahrer Nachfahre des silbernen Löwen es eines Tages erhebt.
Die Ljoengarder mögen gefallen sein, doch ihre Erinnerung lebt. Noch heute sprechen die Barden ihre Namen mit Ehrfurcht, und ihr Opfer gilt als das höchste Beispiel für Mut, Treue und unerschütterliche Tapferkeit. Ihr Vermächtnis lehrt, dass wahre Stärke nicht in Zahlen liegt, sondern im Herzen – und dass diejenigen, die für das Licht kämpfen, niemals vergessen werden.